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Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe)

 

Replik auf die Abhandlung von Prof. Dr. Kay Waechter in Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland (NordÖR) 11/2008, Seiten 473 ff.*

 

Von Ernst Hunsicker**

 

1.      Ursprung und Entwicklung

 

Um die Jahreswende 2002/03 bin ich auf zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gestoßen[1]. Auf der Grundlage dieser – jeweils durch Obergerichte bestätigten VG-Entscheidungen – wurde die Präventive Gewinnabschöpfung (nachfolgend: PräGe) zunächst für den Bereich der Stadt Osnabrück in Absprache zwischen der Staatsanwaltschaft Osnabrück, der Stadtverwaltung Osnabrück und der Polizei Osnabrück systematisiert.

Auch wohl auf Grund meiner Anregung in mehreren Veröffentlichungen[2] sind von Polizeibehörden/-dienststellen in Niedersachsen und außerhalb Niedersachsens PräGe-Verfahren durchgeführt worden, sodass inzwischen aus mehreren Bundesländern VG-Entscheidungen[3] vorliegen, die die präventive Variante der Gewinnabschöpfung in der Regel bestätigen.

In Niedersachsen ist die PräGe inzwischen durch einen Runderlass mit Wirkung vom 16.11.2007 flächendeckend eingeführt[4]. Nach meiner Kenntnis liegen Anfragen aus anderen Bundesländern vor, die auch eine Erlassregelung zur PräGe anstreben.

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* Diese Replik ist in NordÖR 2/2009, S. 62 f. veröffentlicht.

 

 

** Kriminaldirektor a.D., zuletzt bis zur Pensionierung im Jahr 2004 Leiter des Zentralen Kriminaldienstes (ZKD) bei der Polizeiinspektion (Z) Osnabrück-Stadt.

 

 

2.      Zielrichtungen und Abgrenzungen Prävention / Repression

 

Die Zielrichtung der repressiven Gewinnabschöpfung hat Waechter umfassend gewürdigt, wenngleich es im Strafrecht auch um die Abschöpfung von Vermögenswerten geht. Die PräGe ist dagegen lediglich auf die Abschöpfung von Gewinnen (Gegenstände, Bargeld) ausgerichtet, die unmittelbar aus Straftaten hervorgegangen sind oder unmittelbar mit Straftaten in Verbindung stehen.[5]

Die repressive Gewinn-/Vermögensabschöpfung und die präventive Gewinnabschöpfung haben prinzipiell die gleiche Intention:

-         Wahrung von Ansprüchen Geschädigter,

-         Auffangrechtserwerb des Staates, wenn Verletzte unbekannt sind oder ihre Ansprüche nicht geltend machen.

Bei der PräGe geht es also auch zunächst darum, Ansprüche Berechtigter zu wahren.[6] Folgerichtig kommt auch Waechter zu dem Schluss, dass es unproblematisch ist, wenn Gewinnabschöpfung als Motiv einer Gefahrenabwehr „mitläuft“; es handelt sich dann – so Waechter weiter – um eine doppelfunktionale Maßnahme mit Schwerpunkt in der Prävention.

Im Strafrecht wurde die Position Geschädigter (Verletzter) übrigens durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten gefestigt.[7]

 

3.      Sachliche Zuständigkeit, Wertgrenze

 

Zum Verfahren ergibt sich aus dem angeführten Runderlass[8], dass für die Durchführung der Sicherstellung gem. §§ 26 ff. Nds. SOG grundsätzlich die Gemeinden (§ 97 Abs. 1 Nds. SOG) sachlich zuständig sind (Ziff. 2.1); die Wertgrenze (Bagatellgrenze) sicherzustellender Sachen ist mit 500 Euro grundsätzlich festgelegt (Ziff. 3.5[9]). Waechter geht von ersten – aber inzwischen überholten – Regelungen aus, wonach die sachliche Zuständigkeit der Gemeinden in Niedersachsen auf eine Einigung von Staatsanwaltschaft, Polizei und Gemeinden zurückgeht und die Wertgrenze generalisierend mit 1.000 Euro festgelegt wurde.

 

4.                 Bürgerliches Recht oder Gefahrenabwehrrecht?

 

Im Wesentlichen führt Waechter aus, dass die Anwendung des Gefahrenabwehrrechts („Polizeirecht“) maximal zu denselben Ergebnissen wie § 983 BGB führen kann. Begründend wird auf den Passus „§ 983 des Bürgerlichen Gesetzbuches bleibt unberührt.“[10] hingewiesen und auf Honnacker/Beinhofer[11] verwiesen.

§ 983 BGB ist aber m.E. weniger Ermächtigungsgrundlage für die Polizei- und die Verwaltungsbehörden, sondern mehr Verfahrenshinweis auf die Verwertung sichergestellter Gegenstände durch eine öffentlich durchzuführende Versteigerung. So übrigens in der Fortsetzung auch Honnacker/Beinhofer[12]; zum gleichen Ergebnis kommt auch Tegtmeyer[13].

Das Verfahren gem. Nr. 75 Abs. 4 RiStBV[14] unter Hinweis auf § 983 BGB stößt auch ansonsten an Grenzen: „Das NGefAG[15] kann nicht unmittelbar zur Ergänzung der strafprozessualen Rückabwicklung sichergestellter Gegenstände angewendet werden, weil es ausdrücklich zur Regelung polizeilicher und verwaltungsbehördlicher Aufgaben geschaffen wurde (§ 3 I NGefAG[16]). Als Verwaltungsgesetz, dessen Regelungen in dem hier interessierenden Bereich den Auffangtatbeständen des Zivilrechts nicht widersprechen, einen vernünftigen und gerechten Interessenausgleich vornehmen und dazu ein brauchbares Abwicklungsverfahren anbieten, kann das NGefAG[17] jedoch als Auslegungshilfe und Verfahrensordnung dienen. Es hat zudem den Vorteil, daß es als Landesgesetz einen deutlich höheren Geltungsgrad hat als die RiStBV als nichtgesetzliche Verwaltungsvorschriften, die zudem zu der Problemstellung schweigen.“[18]

 

5.      Beweislastumkehr: ja oder nein?

 

Waechter stellt die Beweislastumkehr in Frage und verweist darauf, dass von einer solchen „Umkehr“ zu Lasten des Besitzers in der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nicht die Rede ist (Fn. 38 bei Waechter). In VG-Entscheidungen, so auch Waechter zu Fn. 61, wird teilweise mit einer Beweislastumkehr argumentiert. Nicht angeführt hat Waechter ein Urteil des Bay. VG Regensburg, Az. RN 11 K 03.1962, vom 18.01.2005, in dem die Beweislastumkehr mit Quellenverweisen begründet wird[19].

 

6.      Gegenwärtige Gefahr

 

Waechter: „…Um eine gegenwärtige Gefahr annehmen zu dürfen, muss die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen haben oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehen.53 Niemand wird behaupten wollen, die vergangenen Straftaten seien das auch in Zukunft schädigende Ereignis. Für den geforderten Grad der Wahrscheinlichkeit fehlt es daher an Belegen54. …“

In mehreren verwaltungsgerichtlichen PräGe-Entscheidungen wird das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr dagegen ausdrücklich bejaht (Urteil VG Berlin, Az. VG 1 A 173.98, vom 02.02.2000[20], Beschluss VG Berlin, Az. VG 1 A 442.01, vom 11.02.2004[21], Urteil Bay. Verwaltungsgericht Regensburg, Az. RN11 K 03.1962, vom 18.01.2005[22], Beschluss VG Braunschweig, Az. 5 B 284/06, vom 19.10.2006[23]).

 

7.      Fazit

 

Die PräGe dient vorrangig dazu, Sachen, die ganz offensichtlich deliktischer Herkunft sind, nicht berechtigten Personen zu entziehen.

 

Im Gegensatz zu Waechter vertrete ich – übrigens in Übereinstimmung mit den Begründungen aus den mir bekannten VG-Entscheidungen – die Auffassung, dass die Gefahrenabwehrgesetze des Bundes (BPolG) und der Länder (z.B. Nds. SOG) für Verwaltungs- und Polizeibehörden durchaus die Grundlagen für PräGe-Verfahren sind; das Zivilrecht und somit auch § 983 BGB dient in diesem Zusammenhang – so Kochheim[24] – lediglich als „Auffangtatbestand“.

 

 

Die Beweislastumkehr sehe ich als ausreichend begründet an.

 

Die präventive Sicherstellung von Bargeld stützt sich vorrangig auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG und erfordert eine gegenwärtige Gefahr, die einer zureichenden Begründung – wie in mehreren VG-Entscheidungen erfolgt – bedarf.

 

In Waechters Ausführungen vermisse ich Hinweise auf den Gemeinsamen Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport und des Justizministeriums[25], der auch mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt ist.



 

[1] Urteil VG Karlsruhe, Az. 9 K 2018/99, vom 10.05.2001 (rechtskräftig) – Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des VG Karlsruhe wurde am 20.02.2002 durch Beschluss des VGH Baden-Württemberg, Az. 1 S 1710/01, abgelehnt (Verfahrensgegenstand: Sicherstellung von ca. 2.000 Gegenständen gem. § 32 Abs. 1 PolG BW); Urteil VG Berlin, Az. VG 1 A 173.98, 02.02.2000 (rechtskräftig) – Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des VG Berlin wurde am 16.09.2002 durch Beschluss des OVG Berlin, Az. OVG 1 N 13.00, abgelehnt (Verfahrensgegenstand: Sicherstellung von 155.000 DM gem. § 38 ASOG Bln).

[2] Bspw. Hunsicker, Präventive Gewinnabschöpfung – Sicherstellung/Verwertung von Gegenständen und Bargeld aus präventiv-polizeilichen Gründen, in: Kriminalistik 4/03, S. 234 ff.

[3] Hunsicker, Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe) – Entscheidungssammlung in Volltexten (Sammelband), 159 Seiten, GRIN Verlag 2008.

[4] Präventive Gewinnabschöpfung; Hinweise zum Verfahren der Sicherstellung nach § 26 Nds. SOG vor strafprozessualer Herausgabe offensichtlich nicht rechtmäßig erlangter Sachen – Gem. RdErl. d. MI u. d. MJ vom 16.11.2007 - P 22.2-1201-26 – VORIS 21011 – Nds. MBl. 50/2007, S. 1515 ff.

[5] § 26 Nds. SOG erlaubt anders als § 111 b StPO (unter den Begriff Gegenstände i.S. dieser Vorschrift fallen auch Rechte) nur die Sicherstellung von Sachen i.S. des § 90 BGB. Darunter fällt Bargeld, aber kein Buchgeld. (vorstehend Fn. 4; Ziff. 3.1, Sicherstellungsobjekte).

[6] Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können eine Sache sicherstellen, um die Eigentümerin oder den Eigentümer oder die Person, die rechtmäßig die tatsächliche Gewalt innehat, vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen (§ 26 Nr. 2 Nds. SOG).

[7] BGBl. I 2006, 2350; dazu Hunsicker, Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung bei Straftaten – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung dieser Instrumente, in: Kriminalistik 10/2006, S. 615 ff.

[8] Vorstehend Fn. 4.

[9] Insoweit bedarf es regelmäßig nur dann einer sorgfältigen Prüfung, ob eine Rückgabe untunlich ist oder nicht, wenn der Wert der Gegenstände im konkreten Fall in der Summe unter 500 EUR liegt.

[10] Findet sich in einigen Gefahrenabwehrgesetzen (z.B. § 29 Abs. 4 Nds. SOG).

[11] Diese Verweisung macht klar, dass für den Fall des unbekannten Berechtigten nur nach § 983 BGB verfahren werden soll47., in: Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG), 18. Auflage 2004, VollzBek 28.4, S. 228 f.

[12] Honnacker/Beinhofer, a.a.O, führen nämlich weiter aus: Nach dieser Vorschrift [Anm. Verfasser: § 983 BGB] finden die §§ 979 bis 982 entsprechende Anwendung. Die Polizei hat öffentlich bekannt zu machen, dass die nach ihrer Art näher zu bezeichnende Sache öffentlich versteigert wird. …

[13] Nach § 980 BGB ist jedoch die Versteigerung erst zulässig, nachdem die Empfangsberechtigten in einer öffentlichen Bekanntmachung zur Anmeldung ihrer Rechte unter Bestimmung einer Frist aufgefordert worden sind und die Frist verstrichen ist. (Tegtmeyer, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 8. Auflage 1995, RdNr. 9 zu § 45 PolG NRW, S. 384).

[14] Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977; in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung (bis zum 31.12.2007: Nr. 75 Abs. 5 RiStBV).

[15] Hinweis Verfasser: jetzt Nds. SOG.

[16] Hinweis Verfasser: jetzt § 3 Abs. 1 Nds. SOG.

[17] Hinweis Verfasser: jetzt Nds. SOG.

[18] Kochheim, Rückabwicklung sichergestellter Geschäftsunterlagen – Verwahrung und Kosten für Transportaufwendungen für die Rückgabe sichergestellter Unterlagen, S. 10; nachzulesen bei Hunsicker, in: Präventive Gewinnabschöpfung (PräGe) in Theorie und Praxis …, 3. Auflage 2008 (Arbeitshilfe), 176 Seiten, Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 74.

[19] Die Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 BGB bewirkt hier also eine Beweislastumkehr (vgl. zu diesem sog. „Wahrscheinlichkeitsbeweis“ BverwG, Urteil vom 21.11.1968, Buchholz 310 Anhang Beweislast Nr. 40; VG Karlsruhe, Palandt-Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., § 1006 BGB, RdNr. 7).

[20] …Die Sicherstellung des Geldes war zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr geboten. Zutreffend hat der Beklagte für den Sicherstellungszeitpunkt angenommen, dass das Geld mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder in den illegalen Zigarettenhandel investiert und damit die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer in diesem Zusammenhang relevanter Straftaten groß gewesen wäre. …

[21] …Gegen eine zu enge Auslegung des Tatbestandsmerkmals „gegenwärtig“ spricht auch die Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 4 ASOG, die davon ausgeht, dass eine gegenwärtige Gefahr für einen erheblichen Zeitraum fortbestehen und damit naturgemäß nicht in jedem Augenblick mit der gleichen zeitlichen

Nähe drohen kann. …

[22] …Eine gegenwärtige Gefahr in diesem Sinne kann sich insbesondere daraus ergeben, dass mit der sichergestellten Sache in nächster Zeit eine Straftat begangen werden soll (Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Art. 25 PAG, RdNr. 5). Vorliegend ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger die 225.000,-- € bei Herausgabe zur Begehung von Betäubungsmitteln einsetzen wird. …

[23] …Eine gegenwärtige Gefahr i. S. des § 26 Nr. 1 Nds. SOG besteht auch deshalb,

weil bei einer Herausgabe des Geldes an den Antragsteller die Verwirklichung von potentiellen Rückforderungsansprüchen der Geschädigten vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (vgl. zum Ausnahmefall des Schutzes privater Rechte, § 1 Abs. 3 Nds. SOG). …

[24] Vorstehend Fn. 18.

[25] Vorstehend Fn. 4.